Bisher hab ich mich ja eher zurückgehalten in der aktuellen Diskussion um Exkludisten und Relevanzkriterien (ein Überblick hier: Kris Köhntopp
1,
2,
F!XMBR,
Fefe,
Pavel), mittlerweile ist das ganze aber schon so weit gediehen, dass ich auch mal meinen Senf dazugeben muss.
Dabei will ich mich primär überhaupt nicht mit den konkreten Ereignissen (konsequente Löschung von Artikeln und Erwähnungen der verschiedensten Themen, beispielsweise
MOGiS) befassen, sondern meinen Blick auf die grundsätzlicheren Problematiken, und zwar einerseits den Relevanzbegriff, den Exkludismus an sich und die praktischen Auswirkungen des ganzen.
Der Exkludismus als solches ist eine Bewegung innerhalb der Wikipedia-Community, die aufgrund von bestimmten Kriterien entscheiden will, welche Artikel in die Wikipedia reindürfen und welche nicht. Das beliebteste Argument für eine Entscheidung gegen eine Aufnahme sind die
Relevanzkriterien, ein historisch gewachsenes Dokument. Selbstdarstellung, Werbung oder ähnliches ist natürlich auch nicht erwünscht, das Lemma (vereinfacht gesagt der Name, unter dem der Artikel läuft) sollte auch einen gewissen allgemeinen Bekanntheitsgrad haben, reine "Internetbekanntheit" zählt nach Auffassung vieler Exkludisten nicht. Was hier übersehen wird: die Relevanz- und weitere Kriterien, die angelegt werden, um eine Entscheidung für oder wider einen Artikel herbeizuführen, sind auch nur Meinungen. Gebildet zwar von Leuten, die sicherlich schon länger bei Wikipedia aktiv mitarbeiten, aber daraus lässt sich schon grundsätzlich kein unumstößlicher Wahrheitsanspruch ableiten.
Auch der oft angeführte Begriff der "Bekanntheit" ist subjektiv: wer weiß denn schon alles, wer kennt jeden? Niemand ist allwissend, wer allerdings Begriffe außerhalb seines Horizonts leugnet (und derartige Gestalten gibt es genug in Löschdiskussionen), der kann unweigerlich nur Schaden anrichten. Als überspitztes Beispiel kann ich da nur die Position des
Solipsisten-Wikipedianers nennen: wäre ein Solipsist konsequent, so müsste er alle Artikel außer über sich selbst löschen. Sobald es mehr als einen Solipsisten-Wikipedianer gibt, so gibt es nur noch soviele Artikel wie Solipsisten, und selbst diese sind alle gelöscht bzw. im Prozess des Gelöscht-werdens.
Aber um die Bekanntheitsdiskussion wieder auf "normalere" Bahnen zu bringen: seit gestern gibt es einen
Artikel über
Fefes Blog, in dem mehrfach die Bekanntheit von Felix von Leitner (aka Fefe) geleugnet wurde, weil sich diese lediglich auf eine geringe Anzahl von Onlinemedien beschränken würde. Was habe ich gelacht. Abgesehen davon, dass dieses Argument vollkommen fehl am Platz war (denn es ging um Fefes Blog, und nicht um die Person), würde man diese Kriterien an andere Personen, zu denen es Wikipedia-Artikel gibt, anwenden, dann müsste man konsequenterweise auch den Artikel zu Jimmy Wales löschen. Wer ist Jimmy Wales? Frag mal deinen Opa, deine Mutter, oder deinen Bruder, ob die wissen, wer Jimmy Wales ist. Ach, die wissen das nicht? Wie kann es dann einen Artikel über diese Person geben, wo doch nur eine sehr eingeschränkte Bekanntheit gegeben ist? Tja,
Jimmy Wales hat halt eben "zufällig" die Wikipedia gegründet.
Ein oftmaliges Argument, über das man immer wieder stolpert, das man im Zusammenhang mit dem Exkludismus hört, ist, dass es in der deutschsprachigen Wikipedia schon zuwenige aktive Mitarbeiter gäbe, und man daher "schlechte" oder "irrelevante" Artikel löschen müsse, um die bestehende Arbeitskraft auf die bestehende Artikelmenge kanalisieren zu können, ist genauso einfach wie falsch. Nicht nur, dass Proponenten derartiger Irrmeinungen garnicht in den Sinn kommt, dass genau durch großzügige Löschaktionen Leute, die mitarbeiten wollen, vertrieben werden (ganz ehrlich, wer will sich in einem Projekt engagieren, mitarbeiten und sich herumstreiten müssen, wenn gerade die eigene Arbeit gelöscht worden ist?), nein, durch
Löschanträge oder gar
Schnelllöschanträge auf neue Artikel werden potentiell umfassendere Arbeiten an neuen Themen unterdrückt und aus ihrem Kontext gerissen, einzelnen Artikeln oder gar einer ganzen Serie davon wird die Möglichkeit genommen, sich zu entwickeln. Nein, vollkommen falsche Sichtweise:
Personen, die sich in Wikipedia in Form von Artikel schreiben einbringen wollen, werden daran gehindert, genau diese Artikel in einen (für wen auch immer) akzeptablen Zustand zu bringen. Es wird also aktiv Wissen vernichtet und durch die Regeln, unter welchen Umständen ein bereits gelöschter Artikel zu einem Lemma nochmal neu erstellt werden darf, wird auch verhindert, dass (außerhalb der Wikipedia bestehendes) Wissen in die Wikipedia integriert, vernetzt und damit in ein größeren Kontext gestellt wird. Das ist die traurige Realität, und entspricht sicherlich nicht dem Grundgedanken der Wikipedia, den Jimmy Wales predigt:
Aber Wikipedia ist mehr als nur eine Internetseite. Wir haben ein gemeinsames Motiv: Stell dir eine Welt vor, in der jeder Mensch auf der Erde freien Zugang zum gesamten menschlichen Wissen hat. Das ist unsere Verpflichtung.
(Jimmy Wales -
Quelle)
Das Wissen der Welt zu sammeln heißt, auch solches in die Wikipedia mitaufzunehmen, das Kriterien, die einem scheinbaren Konsens (scheinbarer Konsens nur deswegen, weil es der Konsens einer Gruppe von Personen ist, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Wikipedia aktiv waren) nicht entsprechen. Das ist meine Überzeugung.
Und überhaupt, das Löschen. Speicherplatz ist billig, Speicherplatz ist kein Problem für die Wikipedia, denn: Wenn ein Artikel in der Wikipedia "gelöscht" ist, so ist der Inhalt nicht etwa tatsächlich gelöscht, sondern lediglich für alle Personen außer Admins unsichtbar. Besonders perfide, hier wird also bereits in der Wikipedia gesammeltes Wissen bewusst zurückgehalten, Willkür auf rein technischer Ebene.
Naja, man wird ja sehen, wie sich die aktuelle Debatte entwickeln wird. Zumindest jetzt schon sieht man, wie immer mehr Leute von einer aktiven Mitarbeit an der deutschsprachigen Wikipedia Abstand nehmen, und das vollkommen zurecht. Ein zu notierender Termin ist auf jeden Fall auch die
hier angekündigte Veranstaltung am 5.11. um 18:00 Uhr in den Räumen von Wikimedia Deutschland in Berlin (
Kris Köhntopp vermutet, wo das sein wird).
Und zu guter letzt noch ein kleiner Rant über
MediaWiki, die Wiki-Software, die Wikipedia eingesetzt wird: poah, ist die Software schlecht! Dass sämtliche Diskussionen ausschließlich im MediaWiki ausgefochten werden, macht es absolut unmöglich, Diskussionen auch nur irgendwie sinnvoll zu verfolgen und zu überblicken. Auch aus Versionsverwaltungssicht einfach nur ein Graus: exklusives Locking will man ja schon mal prinzipiell nicht (die Folge wäre ein einziger Denial of Service auf die Editierfunktion), aber dann sollte ein Mergen von Änderungen sowie ein sinnvolles Interface zum Beheben von Mergekonflikten vorhanden sein. Allein schon das ist ein großer Faktor, der die praktische Benutzbarkeit von Wikipedia einschränkt und eine aktive Teilnahme an kontroversen Thematiken fast schon verunmöglicht.
Und ganz zum Abschluss noch Grüße an die Wikipedia-Kritiker A. und C., die schon länger als ich eine kritische Sichtweise zur deutschen Wikipedia und allen Dingen, die da falsch laufen eingenommen haben, und von denen ich ein paar Argumente schamlos abgekupfert habe.